KARL LUBOMIRSKI.
OZEAN SEI
Nicht Floss.
UNS
denen der Abend näher als der Morgen
schmecken die Küsse anders
Reisen schmecken uns anders und Abschiede.
Wir glauben dem Fell der Tiere
und den Revolvergriffen in Nachttischladen
und Seneca.
Uns
denen Abend näher ist als Morgen
bedeutet Brot mehr
und wer uns umarmt
macht uns zur Sonne.
MAN LERNT
ohne Liebe zu Leben
wie Blinde
ohne Licht.
LEBENSFREUDE
Statt täglich
wöchentlich den Selbstmord denken.
DANN
Dann
wenn die Nächte zu gross sein werden
werden wir einander entgegengehn
auf der Milchstrasse dort.
***
„Gekenterte Zeit“, ist der Titel der Sammlung, aus der diese Gedichte entnommen sind, die bei Ed.Viennepierre 2005 zweisprachig erschienen sind. Dieser Titel birgt eine mächtige, ausleuchtende Metapher, die den italienischen Leser unvermeidlich an die „ allegria di naufragi“ (Heiterkeit der Schiffbrüchigen) von Ungaretti erinnert: Und allsogleich / nimmt er die Reise wieder auf, / wie der überlebende Seebär / nach dem Schiffbruch. Das Thema Schiffbruch wird hier gebannt und aufgehoben in der Forderung an ein zerbrechliches Menschenwerk „Ozean sei, nicht Floss“ im immensen Naturelement, seiner ewigen nie erstarrenden Bewegung. Gib die kindliche illusorische Sicherheit auf und akzeptiere das Andere. Blick der Wirklichkeit ins Antlitz ; auch die Zeit kennt Schiffbruch.
Die Lebenszeit jedes von uns, denen der Abend näher ist als Morgen, eilt, sich zu versenken wie das Schiff des Odysseus bei Dante; aber eben deshalb hat das Leben mehr Würze und die Dichtung wird nicht müde es mit ironischer Heiterkeit zu singen, die sich der Entzauberung , der Feststellung entringt, dass man ohne das Licht scheinbar unverzichtbarer Liebe zu leben lernen kann. Und man lernt, der Versuchung des scheinbar ebenso unverzichtbaren Selbstmordes zu widerstehen.
All dies, dank der Dichtung. Sie weicht nicht zurück vor dem Negativen, denn – wie Calvino will – sie erkennt inmitten der Hölle, was nicht Hölle ist und gibt ihm Raum und lässt es dauern; Poesie verschließt ihre Augen nicht, sie mystifiziert nicht, sie bleibt der Hoffnung stets geöffnet , Sie projeziert sich in eine andere Raumzeit, die unermessliche der Galaxis, jener , der zu großen Nächte, und ohne die Worte zu hindern , uns entgegen zugehen und zu retten.
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Karl Lubomirski, geboren am 8 September 1939 in Hall in Tirol, Österreich, lebte bis zu seinem zweiundzwanzigsten Jahr in Innsbruck, wo er die Schulen besuchte und seine kaufmännische Ausbildung abschloss, ehe er aus Gesundheitsgründen nach Italien zog und dort zuerst im Dienste seiner österreichischen und später seiner deutschen Arbeitgeber über vierzig Jahre lang verblieb und heute in Brugherio, nahe Mailand zurückgezogen lebt.
Karl Lubomirski ist Traeger hoher Auszeichnungen (u.a. des österreichischen Ehrenkreuzes fuer Wissenschaft und Kunst erster Klasse) und Gegenstand dreier Diplomarbeiten an italienischen Universitäten (Universität Mailand, Universität Parma, Universität Verona).
(hrsgg von Gabriella Mongardi)